The Idiotic Way Of Life Sir Hannes Smith über IDIOTS RECORDS und...

Aus Legacy 11/00 (Dank an Thor Wanzek)

Es gibt graue bunte Hunde und bunte bunte Hunde. Die grauen bunten Hunde sind bunt um des Bunt-Seins willen, während die bunten bunten Hunde bunt sind, ohne nur bunt zu sein, weil alle grauen Menschen bunte Menschen mögen und ihnen am liebsten um den Hals fallen. Bunte bunte Hunde müssen nicht unbedingt bunt aussehen oder mit bunter Sprache auf sich aufmerksam machen, das haben sie nicht nötig. Es mag sogar eine Reihe bunter bunter Hunde geben, die in einer grauen bunten Welt nicht weiter auffallen. Sir Hannes Smith, Sänger der PHANTOMS OF FUTURE, ist ein bunter bunter Hund und fällt auf.
Nicht nur auf der Bühne, sondern auch wenn er morgens mit Bommelmütze im Angesicht der häßlichen Unions-Brauerei die Rheinische Straße entlang geht und mit einem Pfeifen auf den Lippen seinen Laden aufschließt, in dessen Auslage sich wachsene Phallus-Kerzen, Fantasy-Schwerter, Merchandise-Artikel jeglichen Formats und natürlich Tonträger in Hülle und Fülle aneinanderreihen: Idiots Records ist nicht nur jedem im Pott ein Begriff, sondern ein Kult für Metal-Fans selbst außerhalb des Kontinents.

 

 

 

 

Als Kult könnte man Hannes mit Fug und Recht bezeichnen, immerhin gehört er als Sänger der Punk-Legende „The Idiots“ zu dem wahrhaftigen Urgestein extremen Krachs in Deutschland und hat mit den Phantoms sieben Alben veröffentlicht, die eigen genug waren, um sowohl auf frenetische Gegenliebe als auch auf konkrete Ablehnung zu stoßen (was in einigen Fällen ein gutes Zeichen ist...) – doch ich glaube, daß Hannes nicht als „Kult“ bezeichnet werden möchte.
Ebenso wenig glaube ich, daß sich Hannes noch daran erinnern kann, wie er mir als Jugendlichem vor vielen Jahren einfach mal so – vielleicht auch aus Mitleid über den kleinen Jungen, der mit staunenden Augen in seinem Laden stand und dessen Taschengeld nicht weit reichte – ein T-Shirt geschenkt hat. Seitdem sind Jahre ins Land gegangen und während Hannes seine Glatze pflegte, wuchs mir ein langer Zwergenbart. Obwohl ich mindestens einmal pro Monat Idiots Records meinen Besuch abstatte, hatte ich nie einen Bezug zu den Phantoms Of Future, weil ich ihre Musik schlichtweg nie zu Gehör bekam. Die Idee zu dem folgenden Gespräch drängte sich mir auf, weil ich Hannes immer als fairen Geschäftsmann erlebt hatte, der nicht den  Eindruck hinterließ wie es bei der Mehrzahl von Angestellten im heutigen Musikgewerbe der Fall ist. An einem verschlafenen Morgen nach zwei Tassen Kaffee im angrenzenden Café Banane ließen wir uns im „Büro“ von Idiots Recor nieder.

 

 

 

Mit welchem Gefühl betrittst du morgens Deinen Laden?

Ich würde es als mein Zuhause beschreiben. Es ist nicht einfach ein Geschäft, welches ich nur betreibe, um Geld zu verdienen, sondern es ist ein Teil von mir. Seit neun Jahren an diesem Standort, vor 13 Jahren habe ich im Februar 1987 im Dortmunder Norden angefangen. Davor habe ich allerdings schon zwei Jahre lang aus dem Schlafzimmer raus verkauft und mit einem Mailorder angefangen. Zu dieser Zeit waren immer Parties bei mir zu Hause und da haben die Leute Platten gekauft, wobei es mit den Dead Kennedys und The Exploited, also der Punk-Geschichte, angefangen hat. Die Platten habe ich damals für 12 bis 14 Mark verkauft, zu der Zeit war halt alles noch günstiger.
Ich wollte schon immer etwas mit Musik machen, das stand für mich schon fest, als ich so zehn Jahre alt war. Ich habe die Schule und die Handelsschule gemacht und dann Kaufmann für die Lebensmittel-Branche gelernt, habe also Bananen und Schweineköpfe verkauft. Dabei hatte ich immer den Hintergedanken, mich irgendwann einmal selbständig zu machen und einen kleinen Laden zu eröffnen. Ich habe auch schon immer Musik gemacht, Musik ist also mein Leben. Anfang 1978 habe ich eine der ersten deutschen Punk-Bands, „The Idiots“, gegründet, nach denen ich rund zehn Jahre später meinen Laden benannt habe.

Wie alt warst du, als du die Band gegründet hast?

Da ging ich noch zur Schule. Die ersten Gehversuche als „Kellergeister“ haben wir unternommen, indem wir auf Kochtöpfen herumgekloppt haben, das waren ohnehin ziemlich extreme Saufexzesse. Zu dieser Zeit war ich so um die 13 Jahre alt. Unsere ersten Auftritte konnte man nicht als Musik bezeichnen, da es mehr Krach war. Trotzdem war schon immer eine ziemlich exzessive Show dabei, mit Flaschen-auf-dem-Kopf-kaputt-hauen und wir haben Schweineköpfe ins Publikum geschmissen. Für das Stück haben wir „Edeka“, wo ich damals gearbeitet habe, in „Ein Deutscher Esel Kauft Alles“ umbenannt. Ich bin mit Edeka-Kittel und voll mit Blut besudelt aufgetreten. An die Schweineköpfe kam ich gut dran, weil ich bei Edeka gearbeitet habe. Die wurden ins Publikum geschmissen. Wir waren damals so jung, da haben wir wahrscheinlich gar nicht alles so richtig mitgekriegt, was wir angestellt haben. Hinter der Aktion steckte nicht nur Spaß, sondern auch Gesellschaftskritik und Provokation. Bei dem S tück ´Tage ohne Alkohol´ habe ich Dosen Hansa-Bier ins Publikum geschmissen, es war halt sehr extrem (lacht). So hat sich das mit den Jahren entwickelt: Am Anfang war es mehr Show und mit den Jahren hat man dann schließlich das Musizieren gelernt, als wir die ewig gleichen drei Akkorde leid waren. Diese Entwicklung hat auch bei den Phantoms Of Future nicht aufgehört. Ich habe eine vierjährige, klassische Gesangsausbildung bei einer Opernsängerin gemacht und parallel dazu hat sich mein ganzes Leben im Hinblick auf Musik weiter entwickelt. Zuerst der Laden und dann habe ich vor neun Jahren auch noch das Café Banane in Kombination mit dem Plattenladen aufgemacht, was sich als Musik-Treffpunkt etabliert hat. Dort haben sich viele Leute zu Bands zusammengefunden und viele sind dort auch von ihrer Drogenabhängigkeit runtergekommen, weil ich ihnen ein Umfeld ohne harte Drogen geboten habe. Ich bin strikt gegen harte Drogen, weil ich selbst alle Exzesse durchgel ebt habe. Ich weiß gar nicht, wie oft sie mir den Magen ausgepumpt haben. Mich haben sie zwei mal wiederbelebt. Vor zehn Jahren habe ich aufgehört, Alkohol zu trinken. Davor war ich 15 Jahre richtig hart drauf. Jeden Tag so 15 Flaschen Bier und eine bis anderthalb Flaschen Fernet Branca und richtig hartes Zeug. Trotzdem habe ich alle Sachen immer weitergemacht und nebenbei angefangen, Konzerte im Ruhrgebiet zu organisieren, speziell in der Live Station. Ich habe damals Master, Pungent Stench und Napalm Death für Konzerte geholt. Mit denen war man befreundet und ich habe damals auch die ersten Demos in meinem Laden verkauft. Dadurch, daß ich zur Musik so einen nahen Draht hatte, weil ich so viel selbst gemacht habe, wußte ich auch immer, wenn etwas Neues passiert. Als ich das erste Mal Napalm Death gehört hatte, dachte ich, da stürzt ein Flugzeug ab, weil ich in dem Krach keine Linie entdecken konnte. Irgendwann hat man dann Bezug dazu bekommen und dann war´s g enial, dann war´s wie auf Speed... Früher habe ich für Zeitungen Kritiken geschrieben und ich kann mich noch erinnern, was ich bei der ersten Cannibal Corpse geschrieben habe: Der Sohn von Frau Nachbarin Schneider hört in letzter Zeit so schreckliche Musik, oder hat er sich einen Hund angeschafft, der da singt? Ich habe immer versucht, möglichst bildhafte Vergleiche zu erschaffen. Am Anfang war das einfach der Wahnsinn. Für solche Sachen habe ich einen Riecher gehabt und da ich ein offener Mensch bin, auch unterstützt. So habe ich ´ne Menge Konzerte veranstaltet, wie zum Beispiel das „Thrash against Apartheid“ gegen die Apartheid in Südafrika mit damaligen Thrash-Größen wie Violent Force und Darkness. Die ersten Living Death-Konzerte haben wir im Freizeitzentrum West gemacht, da kannte sie auch noch kein Schwein. Wir haben uns aber nicht nur auf das harte Zeug konzentriert, sondern auch Melodic Metal wie Helloween unterstützt und neben Konze rten Autogrammstunden veranstaltet.

 

 

Ich hatte nicht gewußt, daß ihr als Punks schon vor zwei Jahrzehnten auf Konzerten Methoden angewandt habt, die heute Dark Funeral verwenden, wenn auch zu ganz anderen Provokationszwecken...

Provokation war schon immer dabei, auch in der Metal-Szene. Metallica haben Killing Joke gecovert, die von der Ideologie her auch aus der Punk-Ecke kamen. Dann wurden im Metal die Texte anspruchsvoller und gesellschaftskritischer und waren nicht mehr nur aus Fabeln und Büchern entnommen. Ich denke, daß sie durch die Vermischung der Stile anspruchsvoller wurden. Die Punk-Szene hat aus der Metal-Szene gelernt und umgekehrt. Aus schnell gespieltem Punk und Metal entstand Grindcore und alles wurde immer extremer und schneller.

Wann hat sich bei dir das erste Mal der Magen umgedreht, als du ganz schlimme Musik gehört hast?

Wie meinst du das, so richtig teuflische Musik oder...?

Nein, nicht unbedingt. Ich kann mich allerdings noch gut daran erinnern, wie ich als Zwölfjähriger mit „Scorpions- und Metallica-Vorerfahrung“ die erste Pungent Stench-Single (die ich heute liebe) gehört habe und mir nicht mehr ganz wohl war...

Dadurch, daß ich mit Pungent Stench so früh in Kontakt war, hatte ich damit auch schon Ärger, aber auf andere Weise: Auf dem damaligen Konzertplakat war auch schon zu sehen, wie sich jemand ein umgedrehtes Kreuz ins Arschloch steckt und das war sehr extrem, worauf ich Ärger mit dem Ordnungsamt bekam. Pungent Stench gefielen mir jedoch auch musikalisch sehr gut. Was mich wirklich beeindruckt hat, war am Anfang die Punk-Musik, der Rest ist dann nachher dazugekommen. Heute denke ich, daß jede Musik, die Freude, Leben und Magie beinhaltet, eine Existenzberechtigung hat.

Was hast du dir von der damaligen Ursprünglichkeit bis in die heutige Zeit behalten können?

Das ist sehr schwierig, da unsere heutige Zeit sehr schnellebig geworden ist. Früher haben sich Bands jahrelang gehalten und heute gibt es andauernd neue. Außerdem ist alles eine große Geldmacherei geworden. Ich kenne die Geschäftsführer von Firmen wie Nuclear Blast noch persönlich aus einer Zeit, in der sie gerade mal die erste Band unter Vertrag genommen hatten und auf Konzerten besoffen im Backstage-Bereich herumlagen. Heute sind die Firmen so groß, daß die persönliche Note verlorengegangen ist. Sie haben den Kontakt zur Basis und zur Front verloren. Zur Front zähle ich so kleine Metal-Läden, die die Musik über Jahre am Leben gehalten haben. Heute stellen die großen Konzerne ihre Platten zuerst in die großen Handelsketten und schicken sie erst zwei Wochen später an die kleinen Läden. Von den über 1.000 Underground-Läden, die es einmal in Deutschland gab, existieren nun keine 100 mehr. Die großen Ketten bekommen bessere Konditionen, dabei müßte es gerade umgekehrt sein. In diesem Prozeß gibt es nur einen Denkfehler: Wenn es irgendwann einmal nur noch die großen Läden gibt, dann gibt es dort auch nur noch Einheitsmusik zu kaufen.

ab es früher auch einen Laden, in den der kleine Hannes mit Begeisterung gerannt ist?

Es gab immer kleine Läden, die sich spezialisiert hatten, z.B. „Last Chance“, die damals hauptsächlich amerikanischen Punk führten (heute ´ne gute Mischung aus alternativ bis hart, direkt gegenüber dem Dortmunder Bahnhof – Anm. d. Verf.). Heute ist es aber egal, was verkauft wird, egal ob Pop oder Morbid Angel – in beiden Fällen geht es nur noch um Einheiten. Ich persönlich halte es so, daß ich, wenn ich im privaten Bereich selbst etwas für mich kaufe, immer versuche, kleine Läden zu unterstützen. Oft haben die auch die besseren Preise und lieber unterstütze ich die als irgendwelche großen Kaufhäuser. Ein T-Shirt kaufe ich in einem kleinen Laden statt bei Karstadt. Wenn man in einen kleinen Laden geht, dann ist das auch ein ganz anderes Gefühl als z.B. im Kaufhof, der völlig gesi chtslos ist. Aber jeder muß selber wissen, was er macht.

Wo würdest du bei dir die Schnittstelle zwischen Idealismus und dem wirtschaftlichen Betrieb ansetzen, der letzten Endes nötig ist, um einen Laden wie „Idiots Records“ am Leben zu halten?

Also, erst einmal möchte ich klarstellen, daß ich noch nie etwas gemacht habe – sei es mit dem Laden oder auch musikalisch bei den Idiots und mit den Phantoms - was nicht von Herzen kam. Das könnte ich auch gar nicht, dann würde ich lieber aufhören, so etwas zu machen. Natürlich müssen einige Dinge funktionieren, da so ein Laden auch enorme Kosten mit sich bringt. Daher sind die CDs logischerweise ein paar Mark teurer als im Mailorder. Doch wenn ich jetzt jede Menge Mist auch noch verkaufen müßte, nur um den Laden am Leben zu halten, dann würde ich lieber aufhören und etwas anderes machen. Wolfgang Petry ist nicht so mein Ding. Es muß mir also schon annähernd gefallen, was ich hier im Laden verkaufe.

Was sind die tiefschürfendsten Veränderungen, die du in den letzten drei Jahrzehnten als Fan, Musiker und Geschäftsmann im Musik-Business miterlebt hast?

Früher war die Independent-Szene einfach viel größer und es gab mehr Eigenproduktionen. Früher gab es einen weltweiten Briefwechsel und ich hatte Kunden aus Kairo und aus Kanada. Das ging ganz schnell: Wenn man zwei Jahre in der Szene war, hatte man Kontakte in der ganzen Welt. Die Leute waren einfach nicht so schlapp. Heute sind die Leute satt, früher gab es wesentlich mehr Begeisterung. Heute ist der Markt übersättigt durch die ganzen Medien wie MTV und Viva und viele sitzen zuhause nur noch vor dem Computer... die Kommunikation fehlt ein bißchen. Es gibt aber immer noch Leute, die kämpfen, und die ihre Ideologie durchziehen. Wenn ich sehe, wie der Torsten vom „Near Dark“ teilweise bei seinem Heft draufgezahlt hat und die Leute dann nicht in der Lage waren, zwei Mark für ein Fanzine zu berappen, dann kann ich mich nur noch am Kopf fassen. So etwas kann ich nicht verstehen.

Gab es in den letzten Jahren noch Demos, die ähnlich wie Pungent Stench oder Napalm Death etwas völlig Neues darstellten und dich umgehauen haben?

Es gab immer solche Sachen, z.B. als wir Metallica oder Slayers „Reign In Blood“ das erste Mal hörten. Ähnlich war es mit Nirvana oder Pearl Jam, von denen ich Aufnahmen besaß, bevor die Alben veröffentlicht wurden. Ich wußte da einfach schon, daß die das große Ding werden. Bei Napalm Death war es halt genauso. Heutzutage ist das seltener geworden. Von Hammerfall kann man ja nicht sagen, daß es etwas Neues ist. Bei Gruppen wie Tristania, die Metal, Gothic mit Frauengesang und klassischem Instrument verbunden haben, gab es einen Aha-Effekt, weil da großes Interesse geweckt wurde, doch auch das war nichts ganz Neues. Solche Gruppen gibt es eigentlich schon lange und bei jeder zweiten neuen Band kannst du sofort sagen, woran sie dich erinnert. Das ist auch noch verkehrt.

Aber man hört dir an, daß sich die Begeisterung nicht mehr so schnell wecken läßt wie früher.

Ich bin ein sehr anspruchsvoller Hörer, das muß ich dazu sagen.

Da ich das anderthalb Stunden dauernde Gespräch nicht zerpflücken wollte, handelt es sich hier „nur“ um das erste Viertel. Das komplette Interview wird demnächst in Mörkeskye Nr.6 und auf meiner Homepage veröffentlicht.

Thor Wanzek